Zero Waste Küche mit Sophia Hoffmann
Wie wir in der Küche kreativer werden und damit Müll vermeiden
Eine spontane Verabredung mit Freund:innen, Essen bestellen nach einem langen Tag und schon bleibt das gekaufte Brot liegen, ist hart, trocken und wandert nach Tagen des Wartens und schlechten Gewissens schließlich in den Müll.
Dieses Szenario kennen viele. Rund 78 Kilogramm Lebensmittel landen pro Kopf in Deutschland im Jahr im Müll (StBA). Ein Großteil davon vermeidbar. Das ist nicht nur teuer, sondern belastet auch die Umwelt stark. Dennoch fällt es uns oft schwer, Gewohnheiten zu verändern und es fehlen Ideen zur Zubereitung.
Dagegen möchte Sophia Hoffmann etwas tun. Sie ist Köchin, Autorin, Aktivistin und bald auch Restaurantbesitzerin. Seit mehr als 10 Jahren widmet sie sich mit viel Leidenschaft und Kreativität ihren Herzensthemen pflanzliche Ernährung, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie Feminismus.
In ihren beiden Büchern „Zero Waste Küche“ und „Die kleine Hoffmann: einfach intuitiv kochen lernen“ teilt sie ihr Wissen zum wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln und Müllreduktion beim Kochen.
Im Interview verrät uns Sophia einige ihrer Tipps und macht uns mit innovativen Rezepten richtig Lust, uns in der Küche auszuprobieren!
In deinem Buch „Zero Waste Küche“ widmest du dich 40 Lebensmitteln, die in deutschen Haushalten am häufigsten im Müll landen. Welches Produkt wird am häufigsten weggeschmissen und mit welchem Rezept würdest du das gerne verhindern?
Sowohl Obst/ Gemüse, tierische Produkte als auch Backwaren werden verschwendet. In Deutschland landet jede fünfte Backware im Müll. Dabei gibt es in allen Kulturkreisen, die Brot backen, großartige Verwertungsrezepte. Deshalb ist Brotverwertung eines meiner Lieblingsthemen und mein Lieblingsrezept sind die sogenannten Brotlinge, Bratlinge aus altbackenem Brot, das mit Hilfe von leckeren Geschmackszutaten wie Zwiebeln, getrockneten Tomaten, Senf und Kapern zu den köstlichsten veganen Frikadellen wird. Das Rezept findet sich auch auf meiner Webseite.
Welche sind die drei häufigsten Gründe für weggeworfene Lebensmittel? Gibt es da ein Muster oder eine Gruppe an Lebensmitteln, die überdurchschnittlich oft betroffen ist?
Es fängt schon beim Einkauf an: wir kaufen - trotz steigender Lebensmittelpreise - einfach meistens viel zu viel ein, egal ob bei frischen oder Trockenprodukten verlieren wir oft den Überblick was wir eigentlich noch zuhause haben. Ein weiteres Thema ist das Mindesthaltbarkeitsdatum: viele Menschen wissen nicht, dass es sich hierbei um ein von der Lebensmittelindustrie selbst festgelegtes Qualitätssicherungsdatum handelt, das völlig willkürlich gewählt werden kann (im Gegensatz zum Verzehrdatum für Fleisch/ Fisch und andere leicht verderbliche tierische Produkte). Fast alle Lebensmittel lassen sich also problemlos noch nach Ablauf des MHD essen, hier sollte man einfach seinen Sinnen vertrauen: riechen, schauen, probieren. Der dritte Grund ist verloren gegangene Wertschätzung und Wissensverlust: Was mache ich mit hart gewordenem Brot, was mit schlappem Salat oder einer runzeligen Tomate? Diese beiden Lücken fülle ich mit meiner Arbeit auf Social Media und mit meinen Büchern und bald auch als Gastronomin in meinem Berliner Restaurant HAPPA (Eröffnung für Oktober 2022 geplant).
Die richtige Lagerung der Lebensmittel ist entscheidend. Welche Lebensmittel lassen sich gut lagern und welche Produkte sollte man eher kurz vor Gebrauch einkaufen?
Viele Trocken- oder natürlich haltbare Produkte wie Hülsenfrüchte, Reis, Nudeln, Essig, Senf, Ketchup halten jahrelang und lassen sich problemlos lagern, eine Ausnahme bildet Vollkornmehl bzw. im ganzen Korn vermahlene Produkte, denn sie enthalten Öl und können ranzig werden. Das gleiche gilt natürlich für Öl, deshalb empfehle ich bei besonderen Ölen, die nicht zum Kochen, sondern etwa nur für Salate verwendet werden immer kleinere Flaschen. Bei frischen Produkten empfehle ich direkt nach dem Einkauf eine mentale Prioritätenliste im Kopf (oder auf Papier) anzulegen, dann verinnerlicht man was als erstes verarbeitet werden muss: Steinobst im Sommer würde ich immer tagesfrisch kaufen, denn es hält nicht lange, Pflücksalate, Blattspinat und Ähnliches müssen schnell verarbeitet werden, dagegen halten Wurzelgemüse wie Bete, Sellerie, Salatköpfe, Kohlköpfe im Gemüsefach manchmal wochenlang. Mein Protipp bei Rotkohl, Weißkraut, Wirsing und Co: einzlene Blätter abpflücken, bei Schnittflächen entsteht gerne Schimmel.
Einmal für die ganze Woche einkaufen oder mehrmals für ein paar Tage? Wie entsteht weniger Abfall?
Das muss man für sich selbst herausfinden, das kann man nicht pauschal sagen. Ich bin Genossin bei einer Gemüsegenossenschaft (der bio-veganen Genossenschaft Plantage), da bekommen wir einmal die Woche eine Box, die liefert den Großteil unseres Gemüses, aber das ist eher was für Fortgeschrittene, wenn einen die ganzheitliche Verwertung überfordert, sollte man lieber mehrere kleine geplante Einkäufe tätigen.
Zu viel gekocht – Was ist dein Tipp, um Essen der letzten Tage wieder aufzupeppen?
Bei mir springt da sofort das Gedankenkarussell an, Stichwort Konsistenzveränderung: damit kann man oft schon eine Menge machen. Aus müdem Salat wird püriert ein cremiges Süppchen, aus einem Rest Dip verlängert ein Salatdressing, aus Nudeln ein Nudelsalat, sogar übrige Pommes lassen sich klein geschnitten in einem Omelett oder einer Frittata auf Kichererbsenmehlbasis verarbeiten. Aus Reis, Kartoffeln oder Hirse werden Bratlinge oder die Kartoffeln dienen dazu die pürierte Suppe einzudicken. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt.
Du sagst, Lebensmittelwertschätzung kann man lernen. Sind die Rezepte in deinem Buch auch für‘s Kochen mit Kindern geeignet?
Unbedingt. Ich hatte das große Glück das alles ganz selbstverständlich zuhause von klein auf zu lernen, erst als ich mich beruflich damit befasste, habe ich kapiert was für ein unglaubliches Privileg das war und dass vielen Menschen dieses Wissen fehlt, deshalb schreibe ich heute Bücher darüber. Denn ich bin davon überzeugt, dass mehr Wertschätzung für Lebensmittel auch Wertschätzung in anderen Lebensbereichen mehrt.
Es ist nie zu früh oder zu spät damit anzufangen. Kinder sind sehr begeisterungsfähig was das Thema Essen und Kochen angeht - wenn man sie mitmachen lässt. Ohne diese frühe Prägung wäre ich heute nicht Köchin.
Essen planen, ganzheitliche Verwertung, Haltbarmachung – ist das nicht alles sehr zeitaufwändig?
Das klingt alles furchtbar aufwändig, aber das sind alles Dinge, die man sukzessive verinnerlichen kann, man kann ja mit kleinen Schritten beginnen und es geht ja nicht drum „alles richtig zu machen“, sondern einfach darum, seinen Blick auf Lebensmittel zu verändern. Wenn man einmal die „Wertschätzungsbrille“ aufgesetzt hat, sieht man schlichtweg Möglichkeiten statt Mängel.
Ist es einfacher, die Zero Waste Küche umzusetzen, wenn man, wie du, rein pflanzlich kocht?
Das würde ich so nicht sagen. Pflanzliche Küche ist einfach klimafreundlicher und die für mich ethisch vertretbare Ernährung, aber auch bei tierischen Produkten gibt es viele Mittel der ganzheitlichen Verarbeitung und Haltbarmachung und auch hier wird viel zu viel weggeschmissen. Ich werde z.B. oft gefragt, woran man merkt, dass ein Ei nicht mehr gut ist, dann antworte ich: „Schlage es auf und du wirst es riechen.“. So einfach ist das. In meinem Buch „Zero Waste Küche“ behandle ich auch tierische Produkte und gebe Tipps und Infos dazu, weil ich es wichtig finde, dass sie nicht verschwendet werden.
Dein neuestes Buch „Die kleine Hoffmann“ dreht sich um intuitives Kochen. Wie hängt das mit der Zero Waste Philosophie zusammen?
Je intuitiver ich lerne zu kochen, desto besser kann ich Lebensmittel ganzheitlicher verwerten. Das Buch ist prall voll mit meinem gesammelten Kochwissen, ein Nachschlagewerk mit Kapiteln zu Bevorratung, Haltbarmachung, Würzen, Zubereitung, Backen, Küchenwerkzeugen und natürlich mit vielen Basis-Rezepten und -Prinzipien. Man muss das nicht auswendig lernen, man kann auch nachschlagen, es gibt sogar Seiten für eigene Notizen. Mein Ziel ist Empowerment, denn frei und intuitiv zu kochen ist für mich das schönste Geschenk und keine Pflichtübung.
Website
Buch "Die kleine Hoffmann"
Buch "Zero Waste Küche"
Fotos © Annabell Sievert-Erlinghagen/ SZ Verlag